Automatisierung: Hoffnung statt Furcht
Noch vor 10 Jahren wurde befürchtet, die Digitalisierung führe zu einer Massenarbeitslosigkeit. Heute sieht alles ganz anders aus.
Eigentlich schien alles klar: Im Jahr 2013 Prognostizierte die Studie «The Future of Employment» der Universität Oxford uns eine massive Veränderung des Arbeitsmarktes. Das Fazit: Hoch qualifizierte Arbeitskräfte werden auch in Zukunft gefragt sein, niedrig qualifizierte sind wegen der Digitalisierung in Gefahr, zu grossen Teilen wegrationalisiert zu werden. 47 Prozent der Jobs in den USA, so die Studie, seien bedroht. Der Aufschrei war entsprechend gross. Automatisierung und künstliche Intelligenz würden für zu Massenarbeitslosigkeit führen und die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten sorgen. Die Digitalisierung sei nichts weniger als eine riesige soziale Zeitbombe.
Betroffen: Mittlere Qualifikationsstufen
Heute, 10 Jahre später, haben wir ein etwas schärferes Bild: Ja, die Digitalisierung sorgt für eine Verschiebung auf dem Arbeitsmarkt. Aber: Die Hauptbetroffenen werden (vermutlich) nicht schlecht qualifizierte Arbeitskräfte sein, sondern eher die Arbeitsplätze mit einem mittleren Qualifikationsprofil. Zahlen aus Deutschland zeigen, dass die Zahl dieser Arbeitsplätze in den letzten 10 Jahren zurückging. Hoch- und Niedrigqualifizierte legten dagegen zu. Forscher sprechen mittlerweile von einer Polarisierung des Arbeitsmarktes.
Über die Gründe wird angeregt spekuliert. Eine Studie aus dem Silicon-Valley zeigt beispielsweise, dass für jeden hochqualifizierten Job fünf Jobs am unteren Ende der Qualifikation entstehen. Das wird zum Teil mit der wachsenden Zahl von arbeitstätigen Frauen erklärt: Wo früher der Haushalt fest in Frauenhand lag, wird heute vieles an Drittpersonen ausgelagert.
Immer weniger Menschen
Einen zunehmend wichtigeren Einfluss hat die weltweite Demografie. Denn die Zahl der Menschen wird in absehbarer Zeit wieder schrumpfen. Besonders dramatisch in der westlichen Welt, aber auch in Asien, insbesondere China – hier um bis zu 50 Prozent bis zur Jahrhundertwende. Schon heute kämpft Europa mit der Pensionierungswelle der Boomer-Generation und einer zum Teil sehr tiefen Geburtenrate. Auch in der Schweiz können in den nächsten Jahren hunderttausende Arbeitskräfte schlicht nicht ersetzt werden. Das heisst, Tieflohnbranchen werden aufgrund der Bevölkerungsentwicklung zunehmend schlechte Karten haben, genügend Leute zu finden. Das zeigt eine Studie, welche die technische Entwicklung (konkret den Einsatz von Robotern) mit der Altersstruktur der Bevölkerung verglichen hat. Das Resultat: Die Industrie Japans beispielsweise – das Land hat eine der ältesten Bevölkerungen der Welt – hat sehr früh auf Robotik gesetzt. Es ist anzunehmen, dass dieser Trend auch in der westlichen Welt noch stärker an Tempo zulegen wird. Dies allerdings nicht, um Jobs einzusparen, für die genügend menschliche Arbeitskraft zur Verfügung stünde. Sondern um die Arbeit trotz fehlender Menschen erledigen zu können.
Grosse gesellschaftliche Herausforderungen
Die Möglichkeit, Jobs zu automatisieren, dürfte also zunehmend eher als Segen beurteilt werden und nicht mehr als Bedrohung. Allerdings ist nicht einfach alles Friede, Freude, Eierkuchen. Die gesellschaftlichen Herausforderungen bleiben enorm: Viele Jobs werden mittelfristig entweder ganz wegfallen durch Automatisierung oder zumindest ihr Profil stark verändern. Damit die Betroffenen nicht einfach abgehängt werden – mit den bekannten gefährlichen Nebenwirkungen für die Gesellschaft und die Demokratie – braucht es Weiterbildungsinitiativen und Umschulungsprogramme. Ebenso werden sich die Diskussionen verschärfen, wie weltweit tätige Grosskonzerne besteuert werden, die sehr hohe Gewinne mit vergleichsweise wenigen Arbeitskräften erwirtschaften. So, wie das heute bei den grossen Digitalkonzernen bereits der Fall ist. Denn staatliche Ausgaben beispielsweise für Bildung, Pflege und Infrastruktur werden im Zuge der demografischen Entwicklung eher steigen.
Fazit: Es bleibt kompliziert.
Einerseits sehen wir eine rasante Entwicklung in der Automatisierung. Gerade in Sachen Künstliche Intelligenz läuft im Moment sehr viel – mit noch unbekanntem Ausgang. Andererseits wächst der Bedarf nach Menschen, die real mit ihren Händen arbeiten: Zuvorderst in der Pflege, aber auch das Gastgewerbe oder handwerkliche Berufe klagen über massive Nachwuchsprobleme. Gleichzeitig zeichnet sich erstmals in der Geschichte der Menschheit eine völlig neue Situation ab: Es werden künftig weltweit massiv weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Was das heisst? Darüber wird heftig spekuliert. Aber eben: Manchmal kommt es anders, als man denkt.
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